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Witze mit giftigem Kern

In der Chatgruppe eines (unpolitischen) Vereins hat kürzlich jemand zwei „lustige Bildchen“ geteilt, so genannte Memes. Ich möchte sie hier nicht wiedergeben, werde sie aber kurz beschreiben:

Sind doch bloß Witze, wo ist das Problem?

Hinter diesen Witzbilder stecken bestimmte Erzählmuster („Narrative“), die über solche Memes ganz bewusst verbreitet und als Normalität verankert werden sollen. Die Hintergrundbotschaft im ersten Bild: Ärzte handeln nur im Interesse großer Pharmafirmen, in Wahrheit schaden sie uns, damit die Firmen mehr Profit machen. Im zweiten Bild: Klimaaktivisten engagieren sich gar nicht für wichtige Dinge (die Klimaerwärmung gibt es eh nicht), sie sollten besser von Panzern überrollt werden.

Es gibt noch eine Vielzahl weiterer (meist rechtsradikaler) Narrative. Typische Beispiele sind „Migranten nehmen unsere Arbeit weg und wollen uns Deutschen ihre Religion aufzwingen“, „Politiker sind eine korrupte Elite und verraten das eigene Volk“ oder „Transpersonen gibt es gar nicht, diese Mode will unsere Männer zerstören und uns umerziehen“ (siehe aktuelle Folge vom ZDF Magazin Royal).

Meinungsfreiheit! Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!!11!

Selbstverständlich herrscht in Deutschland Meinungsfreiheit und jeder kann sagen, was er denkt. Allerdings sollte man dann auch die Verantwortung für seine Aussagen übernehmen. Wer vergiftete Witze verbreitet, unterstützt die Absichten dahinter.

Rechte Narrative wirken auf unterschiedliche Weise. Zunächst sollen sie menschenfeindliche Positionen salonfähig machen und herabsetzende Erzählmuster in der Gesellschaft festigen. Diffamierung und Hetze gegen bestimmte Gruppen sollen als normal gelten, als „witzige Bemerkung“. Das Fachwort ist hier Diskursverschiebung.

Die Erzählmuster bauen Feindbilder auf, indem sie Angst und Verunsicherung erzeugen. Wenn Ärzte, Klimaaktivisten, Frauen, sexuelle Minderheiten, Zuwanderer oder andere Gruppen als minderwertig, böse oder schädlich dargestellt werden, schwächt das den Zusammenhalt in unserer vielfältigen Gesellschaft – zu der sehr unterschiedliche Menschen gehören, ob sie nun weiblich, nicht weiß, muslimisch oder homosexuell sind, ob sie eine Behinderung haben oder sonst irgendwie nicht „der Norm“ entsprechen. Ein konstruktiver Dialog, um gemeinsam Lösungen zu finden, kann nicht mehr stattfinden: Wer diskutiert schon sachlich mit einem angeblich gefährlichen Feind?

Total harmlos, wird halt online ein bisschen rumgealbert

Leider haben Hass und Hetze in Internet sehr reale, lebensbedrohliche Folgen. Beispiele gefällig? Wegen massiver Bedrohung hören Lokalpolitiker auf, sich zu engagieren oder werden sogar ermordet. Lebensrettende Sanitäter werden im Einsatz bedroht oder angegriffen, Ärzte in den Suizid getrieben. Weil er auf die Maskenpflicht hinwies, wurde ein Tankstellenmitarbeiter erschossen. Wenn sie sich (genau wie alle anderen) öffentlich zeigen, müssen Transpersonen mit Gewalt rechnen.

Juristisch sind das voneinander unabhängige Vorfälle, begangen an unterschiedlichen Orten, von „verrückten Einzeltätern“. Es gibt aber ein verbindendes Element hinter diesen Ereignissen: Hassbotschaften, die Gewalt legitimieren – gegen Menschen, die sich für eine funktionierende Gesellschaft einsetzen oder gegen Menschen, die durch ihre Andersartigkeit gewohnte Privilegien hinterfragen.

Aber die Witze zeigen doch bloß die Wahrheit, oder?

Nein, in diesen scheinbar harmlosen Scherzen steckt kein wahrer Kern. Im Gegenteil: Solche Memes sind bewusst falsch fabriziert, sollen empören oder unterhalten, um sich und ihr giftiges Narrativ möglichst weit zu verbreiten. Rechtsextreme vernetzen sich untereinander und professionalisieren sich, um ihre Botschaften gezielt zu streuen.

Teilweise stecken dahinter sogar finanzkräftige Organisationen, die Lobbyarbeit betreiben, modernes Marketing einsetzen und „Bildungsangebote“ machen. Über einige dieser Vereinigungen informiert die Deutsche Welle in dem Artikel „Wer ist die ‚Neue Rechte‘?“.

Wie sollte man (nicht) auf solche Inhalte reagieren?

Kommen wir zu den Lösungen. Wie kann man mit Witzen oder Behauptungen umgehen, die Menschengruppen entwürdigen oder Hass unterstützen?

Schweigen

Wenn man ziemlich sicher ist, dass niemand sonst das problematische Posting sieht, ist Schweigen eine mögliche Taktik. Möglicherweise sorgt Gegenrede erst für Aufmerksamkeit und hilft bei der Verbreitung des Inhalts.

Ist das Posting aber für viele sichtbar, spielt Schweigen dem giftigen Narrativ in die Hände. Es gibt keine Reaktion, scheinbar ist das Gesagte also etwas ganz Normales. Menschen, die im Stillen anders darüber denken, fragen sich möglicherweise: „Oh, keiner sagt was. Dann denke wohl nur ich, dass solche Witze nicht okay sind. In dieser Gruppe bin ich mal lieber still, sonst richtet sich der Hass noch gegen mich.“ Am Ende schweigen alle bis auf den Hetzbildchen-Poster, denn der fühlt sich bestätigt, diese Art Botschaften hier verbreiten zu können.

Runterspielen, ablenken

Witzige Videos dagegensetzen oder mit einem fröhlichen Kommentar ablenken kann helfen, den Original-Beitrag zu überdecken, ihn weniger sichtbar zu machen oder seine Bedeutung herunterzustufen. Das ist oft gut gemeint: „Haha, so ein dummer Witz“ oder „Oh Mann, du schon wieder“.

Leider kann auch das dafür sorgen, dass der problematische Inhalt sich als etwas Normales etabliert, als etwas Belangloses wie ein lustiges Katzenvideo; eben eine komische Aussage von einem kautzigen Gruppenmitglied – nicht ernst zu nehmen und völlig harmlos. Ich hoffe, aus meinem bisherigen Text geht hervor, warum solche Inhalte ganz und gar nicht harmlos sind. Darum bevorzuge ich …

Gezielter Widerspruch

Dass man menschenfeindliche Witze nicht okay findet, zeigt man meiner Meinung nach am besten mit kurzem, deutlichem Widerspruch. Man verneint die dargestellte oder angedeutete Aussage, weist darauf hin, dass Witze dieser Art zu Hass führen, und fordert den Schreiber auf, verantwortlich mit dem umzugehen, was er äußert.

Wichtig: Beim Widerspruch geht es nicht darum, das letzte Wort zu haben oder sich „durchzusetzen“. Wenn aus Gegenrede eine lang(weilig)e Diskussion entsteht, nützt das niemandem etwas. Dadurch hat der Original-Poster nur mehr Gelegenheit für krude Aussagen, raubt einem Zeit und Nerven und die eigentliche Kernbotschaft („Hass ist nicht in Ordnung“) geht völlig unter. Ein Beispiel für Widerspruch könnte sein:

Nein, Ärzte sind nicht generell von den Pharmaunternehmen gekauft, sondern handeln im Interesse unserer Gesundheit. Solche „Scherze“ diffamieren Gruppen und fördern Hass und Hetze. Bitte überlege dir gut, ob du menschenverachtende Inhalte tatsächlich weiterverbreiten möchtest.

Ein klarer Widerspruch richtet sich übrigens nicht nur an den Witzemacher (erhoffter Effekt: Nachdenken, keine vergifteten Memes mehr teilen). Widerspruch ist auch ein Signal an die Gruppe, in der dieser Inhalt geteilt wurde: Bei uns hier ist kein Platz für Menschenfeindlichkeit/⁠Verschwörung/⁠Hetze.

Habt ihr weitere Fragen zum Thema? Gerne als Kommentar unter diesen Blogartikel – aber natürlich wie immer sachlich und respektvoll ;-)

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Rubrik(en):  #ansporn  #kritik  #methodik 

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