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Über Online-Freundschaften

Ein Versprechen sozialer Netzwerke ist, unkompliziert mit Freunden verbunden zu bleiben und an ihrem Alltagsleben teilzuhaben.

Für eine gute Bekannte scheint das prima zu funktionieren. Sie ist auf Facebook sehr aktiv, postet in verschiedene Gruppen und chattet ausgiebig mit Menschen, die sie noch nie getroffen hat. Im Offline-Alltag hält sie kaum engere Beziehungen zu anderen, aber die Menschen auf Facebook bezeichnet sie als ihre Freunde.

Für mich dagegen haben soziale Netzwerke wenig mit Freundschaften zu tun.

Nur ein Fitzelchen vom anderen

Zu viel vom Gegenüber geht verloren, wenn dieser einen spontanen Einfall als Statusmeldungen veröffentlicht, schön fotografiert die selbstgebackenen Heidelbeer-Muffins zeigt oder ein Video von seiner Durchquerung eines Gebirgsbachs postet. Es sind zu sehr Inszenierungen, die wir unseren Online-Bekannten zeigen: Mehr oder weniger sorgfältig ausgewählte Augenblicke, mehr oder weniger bewusste Selbstdarstellung.

Was mir da fehlt sind die Zwischentöne, die ich nur in der direkten Begegnung wahrnehmen kann: Ein Zögern vor dem nächsten Wort, ein verlegenes Lächeln, überwältigte Freude auch wenn keine Fotolinse zuschaut, ein erschöpftes Ausatmen, ein skeptisches Armeverschränken. Diese Gesten und Gefühlsäußerungen sind es, dich mich einem anderen nahe fühlen lassen.

Eine:r an viele

Die freundschaftliche Beziehung stört für mich vor allem, nicht direkt zu kommunizieren, sondern nur Teil eines Publikums zu sein bzw. für ganz unterschiedliche Bekannte zu posten. Soziale Netzwerke fördern genau diese Art der Kommunikation: Man legt sich ein Profil an und postet möglichst regelmäßig, um sichtbar zu sein. Man folgt Freunden und bekommt im besten Fall angezeigt, was sie für ihre Follower-Schar veröffentlichen. Im Grunde ziemlich unpersönlich, weil es sich an ganz unterschiedliche „Freunde“ richtet.

Wenn ich mich eins zu eins mit jemandem austausche, funktioniert das für mich deutlich besser. Selbst wenn es nur Video-Chat, ein Telefonat, Text-Messages oder (analog) ein Brief sind. In der Regel kann ich dadurch nachfühlen, was den anderen gerade beschäftigt – zuminderst besteht neben dem reinen Informations-Austausch auch eine Gefühls-Ebene.

Freundschaft ist was Persönliches

Beim Schreiben dieses Textes habe ich ein unbestimmtes Gefühl ergründet. Anfangs dachte ich, Freundschaften über soziale Netzwerke erscheinen mir darum unecht, weil sie online stattfinden. Dabei liegt es wohl eher daran, dass man in sozialen Netzwerken weniger direkt kommuniziert. Wo sich ein Post an eine ganze Gruppe richtet oder man eine Statusmeldung nur als einer von viele empfängt, dort pflegt man keine Freundschaften sondern Kontakte. Und das selbst dann noch, wenn eine persönliche Beziehung längst eingeschlafen ist.

Darum nutze ich social media hauptsächlich, um mich mit Fremden über gemeinsame Interessen auszutauschen – ohne freundschaftliche Ambitionen. Andererseits kann ich mit Freunden auch online verbunden bleiben, unabhängig von der Entfernung oder Gleichzeitigkeit (z.B. per Mail). Es muss nur persönlich und direkt sein.

Übrigens: Vor zwölf Jahren habe ich schon mal über Freundschaften übers Internet nachgedacht – und war in meinem Urteil strenger.

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Rubrik(en):  #ansporn 

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